Familie Vosberg
Wir erzählen von dem Leben und der Liebe unserer Tochter Freya
Denn die Liebe ist langmütig und freundlich. Die Liebe erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles und duldet alles.
Am 8. August 2003 kam Freya als unser 3. Kind zur Welt. Freya wurde 13 Monate alt und verbrachte ihr gesamtes Leben auf der Intensivstation mit anderen Kindern in einem großen Raum. Freya konnte nicht allein atmen. Sie hatte ein viel zu großes Herz. Da war wenig Platz für die Lunge. Ihr großes Herz nahm ihr die Luft zum Atmen. Freya wurde operiert, beatmet, künstlich ernährt und auch ins Koma versetzt.
Niemand wusste, welche Krankheit Freya hatte, ob Heilung möglich ist. Freya fehlte viel – nur die Liebe nicht. Jeden Tag waren wir und Menschen, die sie lieb gewannen, bei ihr.
Freya kämpfte täglich um ihr Leben und wir waren fast täglich im Ausnahmezustand. Jeden Tag war da die Angst, sie könne sterben. Morgens und abends riefen wir in der Klinik an, um zu fragen, wie es Freya geht. Dies war neben den täglichen Besuchen ein festes Ritual.
Manchmal konnte Freya sogar allein atmen. Das gab uns Hoffnung. Wir glaubten, Freya wird gesund. Aber immer wieder gab es Rückschläge, denn die Krankheit hielt Freya fest. Infektionen kamen und weitere Operationen. Doch gleichzeitig besuchten sie immer mehr Freunde. Wer Freya sah und wen sie anschaute oder anlachte, der kam wieder zu ihr.
Freyas Leben war sehr eingeschränkt. Sie war an vielen Schläuchen angekettet. Es gab einen großen Beatmungsschlauch, die Magensonde, Schläuche und Kabel in den Armen, an den Beinen. Freya konnte wegen der Schläuche nicht gestillt oder in unseren Armen gewiegt werden.
Uns aber blieb dennoch viel: wir konnten ihre Hände halten. Wir streichelten ihren Kopf und kämmten ihr lockiges Haar. Wir konnten ihre Wange küssen. Manchmal durften wir sie auf den Schoß nehmen. Dann mussten wir ganz still sitzen, damit die Schläuche nicht verrutschten. Oft schauten wir uns tief in die Augen. Es waren schöne Augenblicke wenn Freya unser Lächeln erwiderte. Manchmal strahlte uns Freya auch einfach so an. Oft wischten wir ihre Tränen sanft fort. Wir konnten Freyas Bauch massieren und ihren Babyduft riechen. Wir zählten oft Freyas Finger. Wir konnten ihr geheime Worte zuflüstern und wir spürten Freyas Liebe. Soviel blieb uns.
Freyas 1. Geburtstag feierten wir gemeinsam mit der Familie, Freunden, Schwestern und Ärzten auf der Intensivstation. Dann wurde Freyas Leben noch beschwerlicher und zunehmend schmerzhafter. Freya kämpfte weiter die Infektionen nieder, kam aus hohem Fieber und Herzrhythmusstörungen zu uns zurück – bis ihre Kraft versiegte.
Freya hatte viel Geduld mit uns. Wir taten uns schwer damit, den bevorstehenden Tod zu akzeptieren. Unser Glaube daran, dass Gott Freya zu sich nimmt und ihre Liebe zu uns gaben uns Kraft für den Abschied. Die letzten drei Tage verbrachten wir bis auf wenige Stunden ganz bei Freya. Wir hielten sie stundenlang im Arm, sangen, beteten und erzählten ihr immer wieder, dass wir ihr unsere Liebe mitgeben und wie einmalig und wunderbar die Zeit mit ihr war. Der Augenblick, in dem Freya heimging, war ganz friedlich und voller Liebe. In diesem Moment waren wir das einzige Mal mit Freya allein. Wir danken ihr für diesen einzigartigen Augenblick und die große Liebe, die sie uns gab.
Freya starb am ersten Herbsttag des Jahres 2004. Wir durften in der Uniklinik die ganze Nacht von ihr Abschied nehmen. Ich hatte mir immer gewünscht. Freya aus dem Krankenhaus zu tragen. Nun trug ich Freya in meinen Armen aus der Klinik und legte sie in den Sarg.
Mit ihren Patenonkeln trugen wir selbst Freya zum Grab. Viele Menschen, die sie kennen gelernt oder die von ihr gehört hatten, waren bei ihr und uns. Freyas Liebe und unsere Liebe zu ihr sind geblieben als die Hoffnung verloren ging und der Glaube schwer zu bewahren war.
Nun aber bleiben Glaube, Liebe, Hoffnung, drei Gaben aus Gottes Fülle, aber die Liebe ist die größte unter ihnen.
Sybille und Till Vosberg
Dezember 2005